Simone De Beauvoir Über Sade
Simone de Beauvoir
„Soll man de Sade verbrennen ?“
Zitate:
Gewöhnlich versteht man unter Sadismus Grausamkeit. Auspeitschungen,
Gemetzel, Folterungen, Morde, die in Sades Schriften als erstes ins Auge
springen, scheinen zu bestätigen, was die Tradition mit seinem Namen in
Verbindung gebracht hat....
Die Episode mit Rose Keller zeigt ihn, wie er sein
Opfer mit einer Gerte und einem verknoteten Seil auspeitscht, ihm sicherlich*
*
Sades Geständnisse stimmen in diesem Punkt nicht mit den Aussagen von Rose Keller überein.
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auch mit einem Messer die Haut aufritzt und Wachs in die Wunden gießt; in
Marseille zieht er eine aus Pergament geflochtene und mit krummen Nadeln
versehene Peitsche aus der Tasche und läßt sich Ruten aus Heidekraut
bringen. Sein ganzes Verhalten seiner Frau gegenüber bezeugt eine
offensichtliche seelische Grausamkeit. Ausführlich hat er über die Lust
geschrieben, die das Zufügen von Schmerzen bereitet; seine Ausführungen
sind allerdings wenig aufschlußreich, da er sich damit begnügt, die
klassische Lehre vom animalischen Nervenleben neu vorzubringen: «Es
handelt sich lediglich darum, die Masse unserer Nerven durch einen
möglichst heftigen Schock zu erschüttern; da nicht zu bezweifeln ist, daß der
Schmerz weit intensiver wirkt als die Lust, sind die Schocks, die sich
ergeben, wenn man anderen diese Empfindung zufügt, dementsprechend
weit stärker.» Das Geheimnis, wie die Heftigkeit eines solchen Schocks als
Wollust bewußt wird, lüftet Sade nicht. Glücklicherweise finden sich an
anderen Stellen aufrichtigere Erklärungen. Die grundlegende Einsicht, auf
der Sade seine ganze Sexualität und dementsprechend seine ganze Ethik
aufbaute, ist die Erkenntnis, daß der Koitus und die Grausamkeit im
Grunde identisch sind. «Wäre wohl der Höhepunkt der Wollust eine Art
Raserei, wenn es nicht in der Absicht dieser Mutter des
Menschengeschlechts (der Natur) gelegen hätte, daß die Ausübung des Koitus
gleich sein sollte der der Wut? Welcher kraftvolle Mann ... wünscht nicht...
das Opfer seines Genusses zu quälen?»
Occi