Wie können dann BDSMler dafür plädieren, in der Öffentlichkeit Sex vor Kindern (Jugendlichen und Erwachsenen) zu haben und Handlungen die als Gewalt und / oder Erniedrigung angesehen werden können, zu praktizieren?
Was ist in deinen Augen öffentlicher BDSM-Sex? Offensichtlich bereits das Tragen vermeintlich eindeutigen Schmucks oder das knien (da erniedrigend).
Es geht hier nämlich weder darum, dass ein Herr seine Sub öffentlich auspeitscht, noch dass sie es wie ein durchgeknalltes Swingerpaar mitten auf dem Dorfplatz treiben. Hier in der Diskussion war nicht ein BDSM‘er der so etwas gutgeheißen hätte. Allerdings wird von der Contra-Fraktion immer wieder so getan, als ginge es der Pro-Fraktion genau darum. Nur, um diesen erweckten Anschein im zweiten Atemzug unredlicherweise mit anderen Dingen aus dem BDSM-Umfeld zu verknüpfen. Die Argumentationslinie ist da klar: weil irgendwer in der Öffentlichkeit etwas in den falschen Hals bekommen könnte, hat BDSM grundsätzlich nur im eigenen Schlafzimmer, besser noch im Dunkeln stattzufinden. Das ist übrigens eine gleichartige Argumentation, wie sie in abgewandelter Form zur Kaiserzeit von Gegnern des öffentlichen Händchenhaltens und Küssens von verheirateten (!) Paaren verwandt wurde.
Zur Erinnerung: BDSM besteht nicht nur aus Sessions, sondern aus vielen kleinen Dingen, die für BDSM‘er eine (ggf. auch sexuelle) Bedeutung in ihrer Zweisamkeit haben, die Außenstehende aber gar nicht erkennen können. Wenn wir auf einer Feier sind und mein Herr mich „bittet“, ihm noch etwas zu trinken zu holen, geht das niemanden etwas an, wenn ich umgehend loslaufe und es mache. Ist mir auch egal, was andere dann über ihn und mich denken, aber wir leben unser BDSM in diesem Moment in der Öffentlichkeit. Und wenn ich unter dem Rock auf Anweisung meines Herrn keinen Slip trage oder unter dem geschlossenen Mantel bis auf die Schuhe komplett nackt bin, dann ist mir egal, ob mir beim Spaziergang Singles oder selbst Familien begegnen. Zum guten Ton gehört ja nicht, dass diese Menschen mir unaufgefordert darunterschauen oder -fassen. Und ich werde auch nicht auf diese Dinge verzichten.
Dieses „anderen am Liebsten aufzwingen zu wollen“, sich bloß zu verstecken, damit niemand auch selbst wirklich triviale Dinge - wie das Tragen eines Halsbandes in der Öffentlichkeit - mitbekommt, kotzt mich an. Wenn dann so ein geldgeiler Modeschöpfer das zum neuen Must-have macht und alle es plötzlich tragen, dann traut sich BDSM-Lieschen „O“ unter dem Mantel der Mitläuferin endlich auch - macht aber vermutlich sicherheitshalber verschämt noch ein Seidentuch drüber, damit es nicht zu offensichtlich ist. Anschließend dankt sie ihrem Erretter, dem Modeschöpfer XYZ, und atmet befreit auf.
Übrigens - wenn du heute Fernsehberichte anschaust, findest du ständig Fotos von weiblichen Promis mit Lederhalsband und Ring. Zuletzt hat die Weitsprungeuropameisterin aus Deutschland eines während des Wettkampfs bei der EM in Berlin vor 2 Wochen getragen. Wurde übrigens live übertragen! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dazu viele Anfragen empörter Eltern gegeben hat.
Der Ring der O war übrigens damals zur Zeit der Veröffentlichung von SoG ebenfalls plötzlich Modeschmuck. 3 von meinen Vanilla-Freundinnen haben so ein Teil immer noch daheim und tragen es gelegentlich - zwei davon kennen die Bedeutung bis heute nicht. Da ist es doch erfrischend, hier von den eigenen Oberverdachtschöpfern rundgemacht zu werden, „weil man anderen seine Sexualität mit so einem Halsband oder Ring nicht so aufdrängen und Eltern nicht in Erklärungsnot bringen soll“.
Ähnliches gilt für das vermeintlich „erniedrigende“ Knien: wenn ich zu Füßen meines Herrn auf meinen Knien sitze, dann gibt es zunächst die breite Öffentlichkeit, die darin (stirnrunzelnd) nur das Offensichtliche sieht: eine offenbar auf dem Boden kniende oder sitzende Frau; dann gibt es ein paar andere Leute, die SoG (an-)gelesen aber mit BDSM nichts am Hut haben und sich unsicher fragen, ob es mit „so etwas“ zu tun haben könnte; dann gibt es wiederum die sportlich-esoterischen Leute, die darin nur eine kurze meditative Yoga-Übung sehen wollen; und last but not least kommen die BDSM‘er, von denen die einen unser Verhalten gut finden, die anderen es tolerieren, während die übrigen uns dafür dann verbal verprügeln und gleich einschreiten wollen, um so die restlichen 99,9% überhaupt erst aufmerksam zu machen, dass sie hier gerade einen fürchterlichen „Skandal“ verpassen.
Erstaunlich: die Öffentlichkeit wird ein bisschen toleranter und offener, was diese Themen angeht, auch wenn es noch ein wirklich weiter Weg ist; nur ein Teil der Insider will sich ängstlich abschotten und intransparent bleiben. Schöne neue BDSM-Welt! Bloß nicht den Kopf aus dem Mauseloch stecken.
Und jetzt können hier einige gerne wieder alles aus dem Kopf streichen, was ich eben geschrieben und sie gelesen haben. Und wenn ihr wahrheitswidrig, wie bei den Posts einiger anderer auch, weiter tendenziell den Eindruck erwecken wollt, dass die Pro-Fraktion auf Kosten aller BDSM‘er Hardcore-Sessions auf den Marktplätzen und vor Schulen- und Kindergärten durchsetzen und sich profilieren will, oder subtil versucht diese Menschen verbal in die Nähe von Pädophilen zu rücken, um zu verhindern das BDSM in irgendeiner Form in der öffentlichen Wahrnehmung ankommt, dann macht das ruhig.
Meine Meinung ist ja folgende: es geht euch in Wirklichkeit nicht darum, die Öffentlichkeit vor den BDSM‘ern zu schützen, sondern euch vor der Öffentlichkeit!
War übrigens während der Kaiserzeit mit küssen genauso. Es galt als schicklich nur bei Verheirateten, unter vier Augen im eigenen Schlafzimmer. Und dann gab es aber die Mordsmollies, die sich sogar trauten, sich (quasi in geheimen Zirkeln) auch in Anwesenheit von Dritten in Hinterzimmern zu küssen und sich deshalb elitär fühlten. Deren größte Angst war was? Dass das, was ihr elitäres Selbstverständnis begründete, profan und gewöhnlich werden könnte.
So wie diese Leute damals, werdet auch ihr nicht verhindern, dass der elitäre Nimbus sich im Laufe der Zeit in Wohlgefallen auflöst. Statt einer Elite werdet ihr nur liebende Menschen in einer toleranten Gesellschaft sein.
seineS
PS Ich bin jetzt übrigens erstmal hier raus! Es gibt Wichtigeres. Ich fahre gleich mit meinem Herrn Kaffeetrinken und da er hier mitliest: darf ich dabei nachher zu deinen Füßen sitzen?