@Katernoster
Ich stimme Dir zu, dass viele Neigungen und Verhaltensweisen, zu mindest zum Teil, durch Erlebnisse und Prägungen aus der Kindheit, oder allgemeiner aus dem Leben, stark mitgeprägt werden.
Jedoch ist hier auch immer zu untersuchen, wie stark dieser Einfluss ist und ob der kausale Zusammenhang nicht fälschlich wegen der Neigung hergestellt wird, also nach dem Motto "Ich bin sadistisch, das muss ja einen Grund haben, dass war sicher die "einschlägige" Liebe meiner Eltern."
Nur greift das Beispiel auch konträr:"Ich bin masochistisch, das muss ja einen Grund haben, dass war sicher die "einschlägige" Liebe meiner Eltern."
Und genausogut taugt es für die Begründung einer absolut pazifistischen Haltung die Gewalt sowohl aktiv, wie auch passiv ablehnt.
Dies lässt eher auf grundsätzche Veranlagungen schliessen, die durch Erlebnisse und Prägungen entsprechend verstärkt und ausgeprägt werden.
Eine rückwirkende Ursachenforschung birgt immer die Gefahr etwas finden zu wollen, weil es ja einen Grund geben muss. Ob es wirklich kausal mit der Neigung verbunden ist, und wie stark der Einfluss ist, sind Fragen, die nur sehr schwer zu beantworten sind, und auch wenn, nicht mit 100%er Sicherheit.
Ich empfinde es auch als schwierig, zu unterstellen, dass BDSM grundsätzlich eine Art Aufarbeitung oder Selbsttherapie ist, denn das würde im umkehrschluss implizieren, dass BDSM therapiebar ist. Dazu ist BDSM zu fasettenreich und zu weitläufig. Sicher mag es einige geben, auf die das zutrifft, keine Frage, ich habe auch schon viele getroffen, aber ich habe auch genug getroffen, auf die es nicht zutraf.
Schaut man sich den aktuellen Stand der Forschung an, so ist eher davon auszugehen, dass die dem BDSM zugrundeliegenden Neigungen Sadismus, Masochismus, Dominanz und Devozion/Submission eher wie Homosexualität, weder therapierbar sind noch unbedingt spezielle Prägungen oder Schlüsselerlebnise brauchen. Hier ist zu beachten, dass das Vorhandensein der Neigung noch lange nicht bedeutet, dass die Person sie auslebet, oder sie explizit im BDSM Bereich auslebt.
Die Literatur beschreibt auch Fälle von starkem Sadismus und sogar Soziopathie bei Kindern aus "gesunden" Elternhäusern, wo auch die Therapie und Verhaltensanalyse ergab, dass keine Gründe vorlagen, die eine derartige, pathologische Intensität rechtfertigen würden.
Deshalb ist auch der Begriff "pathologisch" im Zusammenhang mit BDSM sehr differenziert zusehen. Die starke Sensibilität bei diesem Begriff ist meines Erachtens primär auf die historische Einstufung von BDSM als krankhafte/pathologische, thrapiebedürftige Abnormität/Krankheit zurückzuführen, dies ist bei Gleitschirmfliegern und Bergsteigern eher nicht der Fall.
Beschäftigt man sich eingehender mit den Veröffentlichungen zum Thema Psychologie und BDSM, so zeigt sich, dass viele der besten Arbeiten aus der forensischen Psychatrie stammen und sich primär mit den pathologischen Ausprägungen der Neigungen beschäftigen.
Auch das trägt natürlich dazu bei, dass BDSM schnell, irrtümlich in den pathologischen Bereich geschoben wird.
Wie
Yolabruja schon schrieb, hat das aber schon Peter Fiedler sehr schön abgegrenzt:
Wenn wir gerade bei der allgemeinen Sexualtheorie sind: Ein Standardwerk ist "Sexuelle Orientierung und sexuelle Abweichung" von Peter Fiedler (2004). Darin werden zu den diversen "Paraphilien" (= abweichenden sexuellen Neigungen) sowohl sehr sachliche, fundierte Beschreibungen geliefert als auch verschiedene wissenschaftliche Erklärungsmodelle erörtert. Die wichtige Unterscheidung zwischen inklinierendem (= einvernehmlichem) und perikulärem (= gefährlichem) Sadismus geht in der Form auf ihn zurück.