Senf?
Ohne mich jetzt durch viele der sicher guten Beiträge gewühlt zu haben, hier mal noch ne grundsätzliche Sache:
Ja, es ist schön und sollte Ziel sein,
speziell für andere Menschen keine Schubladen zu nutzen. Weil führt zu Vorurteilen und dem ganzen Anhang, der so eine Geißel unserer Zeit ist (ok,ok, ich pack die Keule wieder ein, sorry). Umgekehrt finde ich es aber durchaus natürlich und hilfreich, für sich selbst Schubladen nutzen zu wollen. Sehr bildhaft ist da jeweils das "Aufatmen" einer/s Patient*in, wenn ersie nach langer erfolgloser Suche endlich eine Diagnose für ihrsein Leiden hat (klar, natürlich auch nicht bei allen und vor allem hat man dann halt ggf die Pest am Hals). Schubladen helfen einfach dabei, nicht jedesmal die komplette eigene Geschichte vor sich hin beten zu müssen, sei's jetzt im Selbst- oder im Gespräch mit Anderen. Die Mühe ist bei sowas immer nur, sich selbst die Schublade dann in die Maße zu schneidern, die man möchte und sie auch wieder verlassen zu können. Bei anderen ist das noch schwieriger. Also zweischneidig und so, aber wir sind ja im smforum ^^
Abseits davon würd ich mich den sicher schon gemachten Aussagen anschließen, dass Schubladen auf Dauer natürlich etwas eng sind - was du ja aber auch schon daran merkst, dass "Maso" alleine nicht "ausreicht" oder es halt einfach nicht trifft. Ich persönlich denke eh, dass diese 2 bis 4 Dimensionen viel zu wenig sind, um einen großen Nutzen zu haben, egal ob bei der Partner*innensuche oder für sonstigen Kontext. Aber es ist leider weiterhin der Konsens, erstmal davon zu reden, bis man dann merkt, dass er sie dann doch mal gerne hauen möchte oder sie es nett findet, wenn er vor ihr kniet. Oder noch schlimmer: Er möchte sie gerne hauen, weil sie drauf steht aber ist damit ja garnicht auf einmal sadistisch oder sie merkt, dass es sie an macht, wenn er vor ihr kniet, aber fühlt sich damit auf anderer Ebene irgendwie komisch, weil das eben ne vollkommen ungewohnte Konstellation ist. Ganz so, als sei menschliches Erleben ziemlich komplex
Auf ner eher freudschen Ebene (heißt: nicht mit guter Wissenschaft belegt) find ich es auch immer sehr erfreulich, wenn Menschen entdecken, dass sie noch andere Neigungen haben oder entwickeln... das hat für mich was von Wachstum. Liegt aber auch sicher daran, dass ich gerne "reales" Leben und einzelne Teilsysteme davon ins Verhältnis setze und davon überzeugt bin, dass Fortschritte auf der einen auch auf der anderen Ebene Freiheitsgrade geben.
Und auch was die Einschränkung deiner "aktiven" Phantasien auf Frauen angeht würd ich das erstmal als "is halt so" annehmen - ich würd auch diverse Männer gerne mal schlagen (*hust). Aber ernsthaft: es gibt sooooooo viele Erklärungsmöglichkeiten dafür, warum die eigenen Neigungen zwischen den Gendern variieren, dass man die Frage nach dem eigenen Grund idR eh höchstens für sich selbst beantworten kann. An der Stelle warne ich vor (freudschen) Pathologisierungsversuchen, die dann
eigentlich die eigene Mutter hauen möchten oder Penisneid attestieren
Dazu gabs auch nen insgesamt sehr schönen Beitrag mit dem Titel "Your Guide to non-oppressive BDSM" der insgesamt hier zu viel wäre, aber ein paar schöne Gedanken enthält, die mMn ganz gut passen:
When seeking out dominant partners, I like to investigate how they’ve come to the conclusion that they like dominating. For example, my desires to be a sub comes from a place of healing from post-traumatic stress disorder. I came to this conclusion after having a difficult conversation with myself about what my need to be controlled, hit, used, and tormented meant for me as an outspoken activist.(...)
It’s not easy to explain the roots of our kinks, especially when those roots are triggering, but when a white cis hetero man tells me he wants to spit on me and call me his whore, it’s fair for me to assess where those desires come from before I can feel comfortable.
http://www.ravishly.com/2015/01/26/your-guide-non-oppressive-bdsm
Auch wenn die Autorin eher vom Gegenüber spricht, denke ich, kann man das auch genau so für sich selbst anwenden - und es spielt für die Wirkung nur eine sehr untergeordnete Rolle, wie "wahr" die Geschichte ist, die man da für sich findet. Ich sehe das und Mensch insgesamt eh lieber als "Work in Progress": Die Wirkung und die eigene Zufriedenheit mit dem Grund sind weit wichtiger, man sollte das Konstrukt halt nicht voreilig als "abgeschlossen" abhaken; Das bewahrt auch davor, irgendwann mal zu merken, dass man sich so in seiner Schublade eingerichtet hat, dass man deren Einschränkungen garnicht mehr bemerkt bis die Schublade platzt (frei nach Luxemburgs "wer sich nicht bewegt spürt auch seine Fesseln nicht").
Insofern würd ich sagen machst du alles richtig und kann auch nur empfehlen, die Schubladen als solche zu nutzen, aber sie dich auch nicht begrenzen zu lassen