Konditionierung und BDSM
Hallo in die Runde,es ist ja schon sehr oft darüber diskutiert worden, inwieweit die Neigung zu BDSM (in welcher Ausprägung auch immer) erlernt bzw. geweckt werden kann. Symptomatisch dafür sind die unzähligen Fälle, in denen sich jemand seiner Neigung bewusst wird, beim Partner aber nur mäßiges bis gar kein Interesse dafür wecken kann, bzw. wo der Partner zwar sein Bestes tut, diese Neigung zu befriedigen, aber es einfach nicht genügt bzw. nicht authentisch wirkt.
Der allgemeine Kanon scheint zu sein, dass zwar gewisse Techniken sehr wohl erlernt werden können (gerade wenn es mehr in Richtung S/M geht) und auch eine Person mit eigentlich differierenden Neigungen insofern Genuss aus solchen Aktivitäten ziehen kann, als sie merkt, wie es den Partner kickt. Die grundsätzliche Neigung aber, dass man die Dinge selbst will, weil sie einen selbst kicken, ist entweder vorhanden oder nicht, kann verstärkt oder unterdrückt werden, aber nicht von Grund auf erlernt.
Nun las ich vor Kurzem diesen sehr aufschlussreichen Artikel im Internet:
http://yourbrainonporn.com/doing-what-you-evolved-to-do
Es folgt eine kurze Zusammenfassung des ziemlich langen Artikels; die Fragen, um die es in diesem Post eigentlich geht, stehen ganz unten und mit einem "" gekennzeichnet
Kurzzusammenfassung:
Es geht darin darum, wie sich häufiger Pornokonsum (verbunden mit Selbstbefriedigung) konditionierend auf die sexuellen Vorlieben auswirkt, was bis hin zu Suchtverhalten führen kann, aber auch auf früheren Stufen schon erhebliche Modifikationen im Gehirn hervorruft.
Die entscheidende Rolle spielt dabei das Hormon Dopamin, das ausschlaggebend ist für Begierde, Wünsche, Motivation, Suchen nach Stimuli. Die Bezeichnung "pleasure molecule" (Genuss-Molekül) ist nur bedingt korrekt, denn es geht dabei eigentlich nicht um die Befriedigung, sondern um das Streben nach Befriedigung. Ist das Ziel erreicht, so sorgen Opioide für das finale gute Gefühl, während der Dopaminlevel wieder auf eine normale Höhe zurückgeht.
Nun kann sich das durch Dopamin hervorgerufene Streben auf verschiedene Aspekte richten, von denen die wichtigsten Nahrung, Sex, Liebe/Freundschaft sind – sowie der berühmte Reiz des Neuen. Hat eine männliche Ratte oft genug mit einer bestimmten Partnerin kopuliert und ist somit sexuell gesättigt (wenn nicht gar erschöpft), so sorgt eine neue Partnerin dafür, dass sein Dopaminlevel sofort wieder stark ansteigt und er hochmotiviert ist, nun die neue Rattendame zu begatten. Dies kann mit immer neuen Partnerinnen so oft wiederholt werden, bis Herr Ratte wirklich zu Tode erschöpft ist, und lässt sich im Prinzip sowohl auf Menschenmänner als auch auf die jeweils weiblichen Vertreter der Gattung übertragen.
Außerdem ist die Anziehungskraft eines Objekts umso größer, je stärker es bestimmten ausschlaggebenden Kriterien entspricht – daraus erklärt sich z. B., wieso man Fastfood und Sahnetorte so schwer widerstehen kann (viel Fett, viel Zucker, viel Geschmack) –, und Dopamin wird auch durch andere starke Emotionen (z. B. Überraschung, Schock, Angst, Scham, Sorge) ausgeschüttet.
Langer Rede kurzer Sinn: Süchte sind grundsätzlich darin begründet, dass man nach ständig neuen Dopaminkicks sucht. Im Fall von Pornokonsum bedeutet das, dass man von Filmchen zu Filmchen springt und dadurch ständig neue Stimuli erhält, die den Dopaminlevel aufrechterhalten. Durch die natürlicherweise eintretende Sättigung müssen die neuen Stimuli jedoch immer extremer sein, um noch eine Reaktion hervorzurufen. Aus diesem Grund beinhaltet Pornosucht typischerweise eine Entwicklung der Präferenzen hin zu immer extremeren Szenarien.
Ein Problem, das daraus entsteht, liegt darin, dass schon nach kurzer Zeit "normale Stimuli" an Reiz verlieren und z. B. angesichts einer echten Frau ohne Modelmaße nicht mehr genug Dopamin ausgeschüttet wird. (Die Unmittelbarkeit in einer realen Situation kann da natürlich gegensteuern!) Mittelfristig scheint Entzug hier jedoch die Reaktion recht schnell wieder normalisieren zu können.
Andererseits findet aber auch eine Konditionierung statt – und jetzt bin ich endlich dort angelangt, wo ich eigentlich hin wollte mit diesem Thread
Porno-Konsumenten werden durch die Pornos nicht nur insofern konditioniert, als sich ihre Vorstellung von "normalem Sex", von weiblichen Körpern, männlicher "Leistung" beim Sex usw. verändern, sondern durch die ständige Suche nach Neuem lernen sie auch, dass bestimmte "abnorme" Praktiken zu dem erwünschten Dopaminkick führen können. Sprich, sie schauen z. B. BDSM-Filmchen an und lernen, dass sie daraus sexuelle Erregung ziehen. Die sexuelle Konditionierung hat also zwei Seiten:
(1) So wird es gemacht ("This is how it is done")
(2) Das macht mich an ("This is what turns me on")
Niemand wird in Abrede stellen, dass wir auch durch unsere Gesellschaft, Erziehung usw. von frühester Kindheit an konditioniert werden, was allgemeine Werte und Moralvorstellungen, aber auch Sexualität anbelangt – auch wenn sich viele Menschen erfolgreich gegen eine solche Konditionierung stellen und dann vermutlich eine Umkonditionierung stattfindet. Mich interessieren an diesem Punkt zwei Fragen:
Inwieweit ist die Neigung zu BDSM das Ergebnis von Konditionierung und inwieweit tatsächlich angeboren? Vorsicht beim Antworten, denn bekanntlich darf nicht über Sex im Zusammenhang mit Minderjährigen diskutiert werden … nein, ich erwarte mir nicht wirklich eine endgültige Antwort auf diese Frage, aber sie interessiert mich trotzdem
Inwieweit kann Konditionierung einen Einfluss darauf haben, dass ein (vermeintlicher) Vanilla-Partner eine dominante, sadistische, devote, masochistische Ader entdeckt und zur allgemeinen Zufriedenheit entwickelt? Gerne auch eure eigene Sichtweise, falls ihr der Meinung seid, Konditionierung hat bei euch dazu geführt, dass ihr eure Neigung entwickelt habt.
Die oben erwähnte Tatsache, dass Genuss daraus gezogen wird, wie es den anderen kickt, ist hier sicher nicht unerheblich und auch insofern wichtig, als genau dieses Wechselspiel wohl für die allermeisten BDSM-Praktizierenden unabdingbar ist. Jemanden (körperlich oder seelisch) zu quälen, der wirklich darunter leidet, ist einfach Grausamkeit, aber kein BDSM, und sich von jemandem quälen zu lassen, der keinen Spaß daran hat, verdirbt einem auch selbst den Spaß – da sind wir uns vermutlich einig. Genau dieses "Es kickt mich, weil es dich kickt" ist damit grundlegend für einvernehmliches BDSM, kann aber gleichzeitig als verstärkender Faktor im Sinne einer Konditionierung verstanden werden.
So, und für alle, die es bis hier geschafft haben: Jetzt bin ich gespannt auf eure Antworten